Eigentlich könnte man sich schon fragen, was denn ausgerechnet an dieser Franken-Classic-Rallye so besonders sein soll. Das, was es dort in Unterfranken gibt, gibt es andernorts auch und manches vielleicht sogar besser: historische Marktplätze in malerischen Kleinstädten, Fachwerkhäuser, alte Brunnen, naturnahe, grüne Landschaften, freie Nebenstraßen, Flurwege durch Felder und berühmte Weinbergslagen, bergauf und -ab durch Naturparks und Wälder, kleine Landschlösschen und Herrschaftshäuser, freie Blicke in Täler, winkende Menschen am Straßenrand und auf Plätzen, ausgetüftelter und funktionierender Zeitplan, angenehmer Empfang im Rallyebüro, freundliches und hilfsbereites Personal, verständliches Bordbuch, pfiffige und faire Aufgabenstellungen, Wertungsprüfungen mit Lichtschranken oder Schläuchen, unbestechliche Zeitmessung, blitzschnelle und tadelfreie Auswertung mit unmittelbarer Übermittlung der eigenen WP-Fahrzeiten aufs Mobiltelefon usw. Oder gibt’s das alles woanders doch nicht?
Das Geheimnis der Franken Classic mag darin liegen, dass es von allem ein wenig mehr gibt als anderswo, dass alle Abläufe funktionieren, dass Geografie und Zeitpläne transparent und abgestimmt sind, dass jedes der 150 Teams quasi individuell betreut wird, dass offensichtlich jeder Teilnehmer als eine Mischung aus Kunde und Freund betrachtet wird, dass dennoch bei aller Vertrautheit eine vornehme Distanz erhalten bleibt, dass die Abendveranstaltungen im bayerischen Staatsbad Bad Kissingen im stilvollen Ambiente des Kurgartencafés und die Abschlussgala im ehrwürdigen Regentenbau auf 4-Sterne-Niveau ablaufen, dass sich innerhalb eines Rundum-sorglos-Paketes alle Teilnehmer einerseits als sportliche Konkurrenten und andererseits als Teil einer harmonischen Gemeinschaft fühlen können usw.
Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass Rallyeleiter Karlheinz Schott nicht das Pareto-Prinzip anwendet, demzufolge mit 20 Prozent Aufwand 80 Prozent des maximal möglichen Erfolges erreicht werden können, sondern er stets versucht, die 100-Prozent-Marke zu erreichen. Der Aufwand, den er und sein 15köpfiges Organisationskomitee betreiben, erfordert Zeit, Fleiß, Wissen, Können, Erfahrung und Engagement bis an die Grenze des als Amateure Leistbaren.
Selbst Stammgäste dieser zum 19. Mal ausgetragenen Rallye staunten, wie viel Varianz in dem Konzept steckt, das sich jedes Jahr wiederholt, ohne jedoch zum stereotypen Ritual zu werden. In Stichworten: Anreise am Freitag vor Pfingsten, Anmeldung im Rallyebüro, am Nachmittag der 80 km lange Prolog als Einstimmungs-, Abstimmungs- und Übungsfahrt mit lockerem Zeitplan über Bad Bocklet und Muße zur Kaffeepause im Staatsbad Bad Brückenau und als Warm-up für die folgenden Tage mit fünf vollwertigen Wertungsprüfungen; am Abend eine Siegerehrung für den Prolog. Der Samstag mit 270 km, 10 Wertungsprüfungen, einige davon als Rundkurse, 40 Messstellen und die typische Mischung aus Stress- und Erholungsmomenten mit Pausen im Hotel Franziskushöhe in Lohr und im Porsche-Zentrum Würzburg; vor dem Tagesziel noch der Concours d’élégance im fabelhaft herausgeputzten Innenhof des Luitpoldbads im Bad Kissinger Kurpark. Der Sonntag mit noch mal 225 km und weiteren zehn Wertungsprüfungen mit drei Dutzend Zeitmessungen, einer Pause mit viel Publikum auf der edlen Landesgartenschau in Würzburg und schließlich die Rückkunft zum Ziel in Bad Kissingen.
Unbestrittene sportliche Highlights der Franken Classic sind die Rundkurse in den malerischen, historischen Orten, die den Zuschauern die Möglichkeit geben, die Autos mehrmals zu sehen und den Teams eine Chance einräumen, sich mit Präzision im Ergebnis zu stabilisieren oder zu verbessern. Es macht einfach Freude, mit dem Oldtimer am Unesco-Weltkulturerbe Residenz zu Würzburg zu defilieren, sich am barocken Brunnen vor dem mittelalterlichen Rathaus an einer Kontrolle die Durchfahrt per Stempeldruck in der Bordkarte bestätigen zu lassen, wenn gleichzeitig ein kundiger Moderator das Publikum informiert. Moderatoren allerorten, damit die zu Zehntausenden gezählten Zuschauer wissen, worum es geht. In den Tagen davor informieren die Medien die Freunde betagter Autos in ganz Unterfranken. Der Veranstalter gibt ein kostenintensives Programmheft heraus, das der Monopoltageszeitung 130.000fach beiliegt und die Streckenführung der drei Rallyetage an Pfingsten zeigt, Skizzen und Luftbilder der Wertungsprüfungen abbildet, die Durchfahrtszeit des ersten Fahrzeugs für sämtliche Ortschaften auflistet. Zu den Bemühungen um größtmöglichen Komfort der Teilnehmer kommt also auch noch eine ganz besondere Pflege der Einheimischen, wird Interesse bei den Zuschauern geweckt. Über all diese Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit hinaus, die jede Franken Classic zu einer triumphalen Demonstrationsfahrt gelingen lässt, erfreut diese Werbung für den Oldtimersport so ganz nebenbei auch noch die Sponsoren dieser Großveranstaltung. Ihr finanzielles Engagement bildet sich folglich nicht nur im Programmheft ab, sondern ihre Namen werden auch über die freien Medien und die allerorten aufgehängten Banner hinausgetragen in die weite Öffentlichkeit, die gerade in puncto alte Autos kaum auf eine definierbare Zielgruppe einzugrenzen ist; die einen jubeln einem nie zuvor gesehenen, donnernden Vorkriegswagen zu, die anderen erinnern sich gerne an ein früher selbst gefahrenes, eigenes Butter-und-Brot-Auto der 60er und 70er Jahre.
Ganz vorne auf der Sponsorenliste steht der Name Sachs. Jenes Schweinfurter Industrieunternehmen, das einst den legendären, zweitaktigen Kleinmotor hergestellt hat und jetzt zum gigantischen, globalen Autozulieferer ZF Friedrichshafen gehört, unterstützte in den 70er und 80er Jahren eine Rallye mit Bestzeitprüfungen, die Sachs-Rallye Franken. In unveränderlicher Verbundenheit den regionalen Mitarbeitern und ihren unterfränkischen Familien gegenüber, aber vor allem dem Traditionsgedanken und dem Wissen um die Sympathieträgerschaft verpflichtet, bildet die Schweinfurter ZF-Niederlassung, die mit Kupplungen und Stoßdämpfern der Marke Sachs einen weltweit berühmten Namen verbreitet, den finanziellen Stabilitätsfaktor für die Oldtimerrallye Sachs Franken Classic. ZF und alle Mit-Sponsoren wissen, dass sie sich jenseits aller Emotionen und Nostalgie bei einer derart seriös durchgestylten Großveranstaltung, die ein breites Publikums- und Medienecho findet, in Sachen Öffentlichkeitswirkung maximal repräsentiert sind. Der Sympathiefaktor der Sachs Franken Classic ist groß, und Nutznießer sind sie alle: die Sponsoren, die Zuschauer und die Teilnehmer.
Irgendwie scheint sie also doch anders zu sein wie andere Oldtimerrallyes, diese Sachs Franken Classic.
Rainer Greubel